Vor 80 Jahren: Antifaschistischer Widerstand für die Rettung jüdischer Menschen
21. April 2023
Zwei herausragende Ereignisse vor 80 Jahren machen deutlich, dass der antifaschistische Widerstand in Europa in vielfältiger Form auch ein Versuch der Rettung jüdischer Menschen vor der Vernichtungspolitik des NS-Regimes war.
Das erste Beispiel betrifft eine Rettungsaktion belgischer Partisanen, die mit ihrem militärischen Eingreifen bewusst einen Deportationszug attackierten. Am 19. April 1943 startete der 20. Deportationszug von Mechelen nach Auschwitz. Es war der erste Transport aus Belgien, der mit Güterwagen durchgeführt wurde. Die kleinen Fensteröffnungen der Güter- und Viehwaggons wurden mit Holzlatten zugenagelt. In diesem Transport befanden sich 1631 Menschen, vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma aus dem französischen Département Pas-de-Calais. Youra Livchitz, Robert Maistriau und Jean Franklemon stoppten den Zug. Beim erzwungenen Halt auf offener Strecke nahe Boortmeerbeek verhalfen sie 231 Menschen zur Flucht, obwohl der Transport von bewaffneten Wachmannschaften begleitet wurde. Die drei Befreier wurden später von der Gestapo verhaftet, zwei überlebten das NS-Lagersystem.
1995 wurde am Bahnhof von Boortmeerbeek eine Gedenkstätte für die Deportierten und die Helfer errichtet. Auch 2023 erinnerte die belgische Auschwitz-Stiftung an diesen Rettungswiderstand.
Das zweite bedeutende Beispiel war der Aufstand im Warschauer Ghetto vom April 1943. Im November 1940 wurde in Warschau das Ghetto eingerichtet, in dem auf engstem Raum mehr als 380.000 Menschen zusammengepfercht waren. Da das Wohngebiet mitten in Warschau lag, konnte es nie komplett abgeriegelt werden. Schmuggel von Lebensmitteln, die Rettung von Menschen und einzelne Kontakte nach draußen waren die ganze Zeit möglich. Den Menschen war aber bewusst, dass das Ghetto die Vorstufe zur Vernichtung sein sollte und sie bereiteten sich auf Widerstand vor. Am 18. Januar 1943 zeigte sich dieser zum ersten Mal, als die jüdische Kampforganisation (ŻOB) mit Waffengewalt versuchte die Deportationen durch die NS-Besatzer zu stoppen. Dennoch setzte die SS bis zum 21. Januar die Deportation von insgesamt 5.000 Menschen durch, über 1.000 Menschen wurden im Ghetto getötet. Durch den Widerstand überrascht, brachen die NS-Besatzer die Räumung des Ghettos vorerst ab.
Im April 1943 befahl Heinrich Himmler die Auflösung des Ghettos. Am Morgen des 19. April, kurz vor Beginn des Pessach-Festes, marschierten Einheiten der SS in das Ghetto ein. Die jüdischen Widerstandskämpfer wehrten sich mit selbst gebauten Granaten und anderen Waffen. Am ersten Tag wurden die überraschten Deutschen bis zur Ghettomauer zurückgedrängt. Am dritten Tag des Aufstands begann die SS, das Ghetto systematisch niederzubrennen, Bunker und Gebäude zu sprengen, um den Widerstand zu brechen. Obwohl die wenigen 100 Kämpferinnen und Kämpfer den deutschen Truppen klar unterlegen waren, hielt die Bevölkerung des Ghettos den Widerstand beinahe vier Wochen lang aufrecht.
In einem ZOB-Aufruf vom 23. April 1943 an die polnische Bevölkerung Polen und die Weltöffentlichkeit heißt es: „Der Kampf geht um unsere und eure Freiheit, um unsere und eure menschliche, soziale, nationale Ehre und Würde. Wir rächen die Verbrechen von Auschwitz, Treblinka, Belzec und Majdanek. Es lebe die Waffen- und Blutsbrüderschaft des kämpfenden Polens! Tod den Henkern und Henkersknechten! Es lebe der Kampf auf Leben und Tod gegen den Okkupanten! Die Jüdische Kampforganisation.“
Der Übermacht der SS waren die Kämpfer auf die Dauer nicht gewachsen. Auch weil ihnen die Kämpfer der polnischen „Heimatarmee“ nicht zu Hilfe eilen konnten.
Am 16. Mai zerstörte die SS als letzte symbolische Aktion die große Synagoge im Ghetto. Leiter dieses Einsatzes von SS, Polizeieinheiten und Wehrmacht war der SS-Brigadeführer Jürgen Stroop, der das Verbrechen unter der Überschrift dokumentierte „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“
Bis zu diesem Tag waren über 56.000 Menschen von SS- und Polizeieinheiten getötet oder in Vernichtungslager transportiert worden.
Wenigen Kämpfern der ZOB wie Marek Edelman gelang die Flucht. Sie tauchten unter oder schlossen sich polnischen Partisanen an.
Die FIR erinnert an dieses Verbrechen, aber auch daran, dass es in allen europäischen Ländern Frauen und Männer im jüdischen Widerstand gab, die sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“ der Vernichtungspolitik ergaben. Sie sind ein bedeutender Teil unserer gemeinsamen antifaschistischen Tradition.