Sinti in der DDR
15. Dezember 2020
Den Alltag einer Minderheit zeigt der Bildband „Sinti in der DDR“ von Markus Hawlik-Abramowitz und Simone Trieder. Die dabei verwendeten Fotos entstanden 1983 im Rahmen des Fotografiediploms des Autors an der Hochschule für Grafik und Buchdruck in Leipzig. Der Student hatte das Alltagsleben von Sinti in Halle, Bitterfeld, Gera und Erfurt dokumentiert. Einige Fotos erschienen erstmals im „Stern“ nach dessen Ausreise nach Westdeutschland. Der Bildband wird durch einen umfangreichen Text von Simone Trieder bereichert, die sich ausführlich mit dem Schicksal der Sinti in der DDR beschäftigt. Die Regieassistentin und freie Autorin schreibt Erzählungen, Biografien, Funkessays und Texte zur Kulturgeschichte. So ist es nicht verwunderlich, dass ihre Einleitung durch die Darstellung zahlreicher Einzelschicksale von Sinti in der DDR geprägt ist.
Auf dem Gebiet der DDR lebten vor dem Krieg etwa 5.000 Sinti, von denen 600 den Nazi-Terror überlebten. Sie stießen nach dem Krieg in Ost und West weiter auf Vorurteile. Ein angeblicher Hang zu Diebstahl und Asozialität waren die üblichen Zuschreibungen, die auch in der DDR weiter wirkten. Lange war die KZ-Haft vieler Sinti als rassistische Verfolgung nicht anerkannt. Die Verfolgungserfahrung bis 1945 und die anschließend fortdauernde Stigmatisierung blockierten das Ankommen der Überlebenden in der Nachkriegsgesellschaft. Erst 2020 beschloss der Bundestag, auch die KZ-Haft der als „asozial“ Stigmatisierten anzuerkennen.
In Westdeutschland wurden die Entschädigungsanträge der Sinti-Opfer des NS-Regimes lange abgewiesen. In der DDR galten zwar Juden als rassisch Verfolgte aber nicht wenige Sinti mussten ihre Verfolgung bei den Behörden erst nachweisen. Immerhin waren von den ca. 200 in den 50er Jahren in der DDR lebenden Sinti 122 als Verfolgte des Naziregimes anerkannt. Ihre Zahl erhöhte sich bis 1966 auf 141. Aber immer wieder wurde der Verfolgtenstatus einigen überlebenden Sinti nicht anerkannt oder auch wieder aberkannt. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Sinti in der DDR nicht als ethnische Minderheit galten entgegen den Sorben, deren Minderheitenstatus sogar in der Verfassung verankert war. Dadurch wurden auch zielgerichtet Sprache und Kultur der sorbischen Minderheit gefördert. Ein solche Förderung oder gar ein Verständnis für die Kultur der Sinti fehlte vollkommen. Insbesondere die Lebensweise der Sinti, ihre oft fehlende Sesshaftigkeit und die Anerkennung der von ihnen bevorzugt ausgeübten Berufe im Schaugewerbe und als Musiker fanden oft keine ausreichende Anerkennung bei den Gewerbeämtern. Das führte bis zur DDR-Gründung zu einer Abwanderungswelle zahlreicher überlebender Sinti nach Westdeutschland, wo sie ebenfalls auf Vorurteile und Ausgrenzung stießen.
Eine spezifische Rolle spielte das Strafrecht in der DDR, das neben dem verfassungsmäßigen Recht auf Arbeit auch eine Pflicht zur Arbeit vorsah. Sinti wurden vielfach wegen angeblichen asozialen Verhaltens strafrechtlich belangt. Umgekehrt stießen Sinti nicht selten bei ihren Bewerbungen um Arbeit auf Vorurteile und wurden abgewiesen, ebenso bei der Zuweisung von Wohnungen. Einigen wurde durch angeblich ungebührliches Verhalten der Verfolgtenstatus aberkannt. Grundsätzlich sah das Statut der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 1950 in der DDR für die Anerkennung als Nazi-Verfolgte vor, dass diese in Nazi-Haft waren, vom zuständigen Arbeitsamt erfasst waren und eine antifaschistisch-demokratische Haltung hatten. Opfer des NS-Regimes erhielten außerdem eine geringere Verfolgtenrente als sogenannte Kämpfer gegen den Faschismus, die aktiv Widerstand geleistet hatten. Immerhin waren für mehr als die Hälfte der als NS-Opfer anerkannten Sinti in der DDR zahlreichen Hilfen möglich – von der Verfolgtenrente über die der Wohnraumzuweisung und die zusätzliche gesundheitliche Versorgung bis hin zur Vermittlung von Arbeit. Simone Trieder berichtet von einem Sinti, der durch VVN-Fürsprache Polizist wurde und ein Polizei-Mandolinenorchester gründet, bis er nach einer Denunziation die DDR verlässt. Sie erzählt die Geschichte einer als NS-Verfolgte anerkannten Sintiza, die zwar eine Wohnungszuweisung erhält, die aber von den zukünftigen Nachbarn sabotiert wird. Sie erzählt vom Journalisten und SED-Mitglied Reimar Gilsenbach, der sich über Jahrzehnte für Sinti einsetzt – in Zeitungen, bei Gerichten, bei der VdN und mit Eingaben. Ihm gelingt es, dass für die von den Nazis in Marzahn eingesperrten Sinti 1986 ein erstes Denkmal entsteht, dass einige Gerichte sich besser auf die Sinti-Kultur einstellen und dass die VdN-Bezirksstelle in Gera nach Konfrontation mit seinem Feature über Sinti ihren Umgang mit den Sinti überdenkt. Er hat dabei das Engagement und die Unterstützung für Sinti in der DDR an den Tag gelegt, die eigentlich von Staat und Gesellschaft zu erwarten gewesen wäre, aber nicht vorgelebt wurde.