Rede zum Holocaustgedenktag am 27. Januar 2013 in Rostock

31. Januar 2013

Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Seit 1996 ist dieser Tag in Deutschland ein nationaler Gedenktag und seit 2006 per UNO-Resolution Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

An diesem Tag gedenken heute Menschen weltweit der Opfer des deutschen Faschismus. Neben sechs Millionen Juden wurden weitere sechs Millionen Zivilsten außerhalb von Kriegshandlungen durch das NS-Gewaltregime getötet. 50-55 Millionen Tote sind die Schreckensbilanz des Zweiten Weltkrieges.

Aller dieser Opfer gedenken wir heute gleichermaßen – auch der über Jahrzehnte vergessenen Sinti und Roma, der Euthanasieopfer, der Homosexuellen, der Zwangsarbeiter und der sogenannten Asozialen. Das Verhältnis zu den Opfern ist auch in Deutschland entkrampfter geworden. Mittlerweile gibt es für nahezu jede Opfergruppe des Nazi-Regimes ein nationales Denkmal. Die europaweite Stolperstein-Initiative zeigt, wie den Opfern der Nazi-Herrschaft nicht nur individuell sondern auch unabhängig von ihrem Opferstatus gleichwertig gedacht werden kann.

Wichtig bleibt aber die Botschaft, dass die von den Nazis begangenen Verbrechen nicht vergessen werden und sich nicht wiederholen dürfen, wie Ministerpräsident Sellering in seiner Presseerklärung zum heutigen Tage hervorhebt. Mit Nazis aktiv auseinandersetzen, Nazi-Gewalt entschlossen entgegentreten und aktiv für eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft eintreten – das ist die Aufgabe für Gesellschaft und Staat.

Da gibt es noch viel zu tun. Denn die verschlafene Aufklärung des NS-Terrors, die Unterstützung der Terrorhelfer in Form von V-Leuten und gelegentlich die Verhinderung von deren Strafverfolgung sind kein Leumundszeugnis für eine aufgeklärte Demokratie und verunsichern zudem unsere migrantischen Mitbewohner. Wenn zugleich ungerechtfertigt aktive Antifaschisten auch in Mecklenburg-Vorpommern diffamiert werden, zeigt sich, dass die Gefahren für die Demokratie immer noch tendenziös eingeschätzt werden. So musste der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Landes zurückgezogen werden, weil drei linke Vereine ungerechtfertigt in ihm genannt wurden.

Aufklärung über die Nazi-Zeit wird heute in Deutschland wie kaum in einem anderen Land geleistet. In der Schule hat das Thema an Gewicht gewonnen, öffentlich-rechtliche Sender wie Arte, Phönix und ZDF Info berichten zunehmend ideologiefrei und regelmäßig über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Aber wie sieht es mit der Qualität der Ursachenanalyse aus. Der narrative Blick auf die Kriegserlebnisse der bald verschwundenen Kriegsgeneration kann helfen und auch die Bilder einer Zeit, die nachwachsenden Generationen zum Glück fremd sind. Deshalb ist es immer wieder wichtig, die richtigen und wesentlichen Fragen zur den Ursachen der Nazigewaltherrschaft zu stellen:

Wer waren die gesellschaftlichen Kräfte, die den Nazis den Weg an die Macht geebnet haben?

Wie verhielten sich die politischen Kräfte der Weimarer Republik und die Arbeiterbewegung zur Nazi-Gefahr?

An welche Einstellungspotentiale in der Gesellschaft konnten die Nazis erfolgreich anknüpfen und warum wurde ihnen kaum widersprochen?

Wer leistete in welcher Weise Widerstand gegen den Faschismus?

Diese Fragen müssen immer wieder klar gestellt und neuen Generationen beantwortet werden, damit Ähnliches heute nicht noch einmal passiert.

Deshalb führt die VVN-BdA in diesem geschichtsträchtigen Jahr – 80 Jahre nach dem Machtantritt der Nazis – am 28. und 29. Juni 2013 an der Berliner Humboldt-Universität eine Geschichtskonferenz zu diesem Thema durch, zu der Sie alle herzlich eingeladen sind.

Neben der Machtübergabe an die Nazis und dem Machtantritt der Nazis im Januar 1933 wiederholen sich in diesem Jahr die Daten weiterer Ereignisse, die auch heute Bestandteil moderner Nazi-Ideologie sind:

– Die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 – Die Zuspitzung des Antisemitismus und der zunächst erfolglose Versuch eines antisemitischen Pogroms – Die Zerschlagung der Demokratie mit den Stimmen zahlreicher Demokraten im Parlament, die nach 1945 die politische Entwicklung der Bundesrepublik mitprägten und – Die systematische Aufrüstung und Vorbereitung Nazi-Deutschlands auf einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg

Die Chronologie der Ereignisse vor und nach dem 30. Januar 1933 finden Sie auf der Homepage der VVN-BdA. Darüber lohnt es sich nachzudenken und zu debattieren, damit Nazis und Rechtspopulisten heute keine Chance bekommen.

Auch daran soll uns der Holocaustgedenktag erinnern.